DIE VERGESSENEN PIONIERE

Die Lebensversicherung als frühe Nutzer von Informationstechnologien

Für viele Menschen beginnt das Informationszeitalter etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch tatsächlich reichen die Wurzeln der Computertechnologie bis in das Jahr 1890 zurück – und die Lebensversicherungsbranche war eine der Early Adopters.

Wenn die Menschen über Innovation nachdenken, kommt ihnen die Versicherungsbranche wahrscheinlich nicht als Erstes in den Sinn. Doch hinter dem konservativen Ruf dieser Welt verbirgt sich eine faszinierende Pionier-Geschichte, denn die Lebensversicherer waren das, was man heute Early Adopters nennt: Sie haben den bahnbrechenden Einfluss der Informationstechnologie früh erkannt und in ihre Arbeit integriert. Versicherungsgesellschaften waren nicht nur führend in der kommerziellen Nutzung von Computern, sondern spielten auch eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Informationstechnologie im 20. Jahrhundert.

Lebensversicherungen liebäugelten bereits 1890 mit der Idee von Computern. Der Statistiker und Erfinder Herman Hollerith erfand die sogenannte Tabelliermaschine: eine Kombination aus mehreren elektromechanischen Maschinen, die Lochkarten zum Aufzeichnen, Sortieren und Berechnen von Daten verwendeten. Die Maschine betrieb eine frühe Form der Datenverarbeitung – und war damit eine primitive Vorgängerversion von Microsoft Excel.

  • Statistiker und Erfinder Herman Hollerith erfindet die Tabelliermaschine.
  • Der IBM 650 Vakuumröhrencomputer wird erstmalig von einem Lebensversicherungsunternehmen (John Hancock) eingesetzt.
  • 20% der Ausgaben von Lebensversicherungsunternehmen fließen in die Datenverarbeitung.

Die Tabelliermaschine wurde ursprünglich entworfen, um bei der Volkszählung in den Vereinigten Staaten zu helfen. Ihr Erfinder Hollerith sah sich jedoch auch nach kommerziellen Anwendungen dafür um. Die Lebensversicherungsbranche war eine der Ersten, die sich für das revolutionäre neue Gerät interessierte, das von einer New Yorker Zeitung auf den Begriff „Supercomputer" getauft wurde. Dadurch konnte Holleriths Unternehmen wiederum expandieren – und sich einige Jahre später in IBM umbenennen. Der Tabulator erwies sich als so erfolgreich, dass er zum Standard in der Versicherungsbranche und IBM zum Anbieter der Wahl wurde. Gleichzeitig entstand die erste große Fallstudie darüber, wie sich Informationstechnologien und ihre Nutzer gemeinsam weiterentwickeln – also wie die ursprüngliche Nutzung die spätere Adaption und den Umgang mit neuen Technologien beeinflussen kann.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Röhrencomputer kommerziell verfügbar. Wieder war die Lebensversicherung eine der ersten Branchen, die sich dafür begeisterte. Der IBM 650 wurde zum bevorzugten Computer für kleine und mittlere Versicherungsunternehmen. Eine allererste Version dieses Computers wurde 1954 bei der John Hancock Mutual Life Insurance Company in Boston installiert und bald darauf durch den transistorbasierten IBM 1401 ersetzt, der oft als Modell T der Computer bezeichnet wird. Der Hauptgrund für die Beliebtheit dieser Modelle war, dass sie die gleichen Lochkartensysteme verwendeten, die die Versicherer bereits in ihren Tabelliermaschinen eingesetzt hatten. Größere Firmen konnten diese kleineren Einheiten also mit ihren Großrechnern verbinden, da die älteren Lochkartensysteme auch mit den neueren Systemen kompatibel waren.

IBM 601 Lochkartensystem von 1931
Tabelliermaschine, die 1920 in den USA zur Volkszählung verwendet wurde

1980 waren Lebensversicherungsgesellschaften weltweit die führenden Experten im Bereich der Computertechnologien und beschäftigten ganze IT-Abteilungen. Schätzungen zufolge gaben sie etwa 20 Prozent ihres Umsatzes für die Datenverarbeitung aus. Doch die nächste Revolution stand schon vor der Tür.