DIE 1990er-JAHRE

Neue Märkte, neuer Wettbewerb

Computer eroberten unseren Alltag und waren aus keinem Büro mehr wegzudenken – und gleichzeitig ebnete die Deregulierung der Finanzmärkte den Weg für eine globale Wirtschaft. Auch das Versicherungswesen profitierte von den neuen Perspektiven und Produkten, sah sich aber gleichzeitig mit neuen Herausforderungen konfrontiert.

In den 1990er Jahren hatten sich Büroräume bereits grundlegend verändert. Schreibmaschinen wurden durch Desktop-Computer, Laptops und Drucker ersetzt, die über Ethernet (LAN) miteinander verbunden waren. Bis zum Ende des Jahrzehnts hatten neue Technologien, allen voran das Internet und die E-Mail, die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Der neue Zeitgeist beflügelte auch die Softwarehersteller – die einstigen Spezialisten entwickelten sich zu immer größeren Playern einer neuen Wirtschaftsordnung. Da universelle Kompatibilität nun unerlässlich war, konnten sich Unternehmen wie Microsoft, Oracle, SAP und Adobe in ihren jeweiligen Sektoren überwältigende Marktanteile sichern.

Für die Lebensversicherungsbranche war jedoch eine ganz andere Art von Revolution im Gange. In den 1980er Jahren gewann eine neue Versicherung an Beliebtheit, die Ersparnisse oder den Ruhestand mit Todesfallleistungen kombinierte. Im neuen Jahrzehnt wurde dies um flexiblere Policen erweitert, die an Investmentfonds gekoppelt waren. Deutschsprachige Länder schlugen allerdings einen anderen Weg ein. Sie boten Kapitallebensversicherungen mit einer garantierten Verzinsung an. In den 1990er Jahren hatte dieser Zinssatz mit vier Prozent seinen Höhepunkt erreicht – eine Zahl, die heute unvorstellbar ist.

Gleichzeitig gab es im Zuge des weltweiten Trends zur Erleichterung des internationalen Handels eine Welle der Deregulierung. Auf die Gründung der WTO (Welthandelsorganisation) im Jahr 1992 folgte zwei Jahre später die Deregulierung des Versicherungswesens in der EU. Nun konnten sich auch Versicherungsgesellschaften im internationalen Wettbewerb behaupten. Eine Flut von neuen Versicherungsprodukten wurde entwickelt und auf den Markt gebracht.

Die Lebensversicherungsgesellschaften befanden sich in einer Zwickmühle. Auch sie wollten schnell neue Produkte anbieten, aber hatten noch immer Probleme damit, ihre älteren Mainframe-IT-Strukturen am Laufen zu halten. Doch unabhängig davon boomte das Geschäft und viele Unternehmen verschoben wichtige System-Upgrades, um sich den gegenwärtigen Herausforderungen zu widmen. Das Ergebnis war eine immer komplexer werdende Mischung aus neuen und alten Technologien.

FJA blieb sich jedoch treu und entwickelte seine eigenen Technologien rasch weiter, da der Kundenstamm der mittelgroßen und großen Versicherungsgesellschaften stetig zunahm. Bis zur Mitte des Jahrzehnts hatte FJA eine neue Version ihrer Standard-Lebensversicherungssoftware entwickelt, die jetzt Life Factory heißt. Dabei wurden zum ersten Mal sogenannte GUIs (grafische Benutzeroberflächen) verwendet. Und auch die Versicherungsverwaltung sowie andere Geschäftsprozesse konnten in die Software integriert werden - ein für die Zeit extrem ehrgeiziger Schritt. Doch die mit Abstand bemerkenswerteste Leistung war mathematischer Natur. Die Life Factory war die erste Software, die den sogenannten Semi-Markow-Prozess (SMP) an Versicherungsberechnungen anpasste. Unternehmen, die den Sprung zu der neuen Software wagten, konnten nun von enormen Vorteilen in Bezug auf Effizienz, Kosteneinsparungen und die Geschwindigkeit ihrer Produktentwicklung profitieren.

Peter Gessner wirkte seit 1980 als Akademiker sowie Business Manager maßgeblich an der Entwicklung der Lebensversicherung in Deutschland mit.

Der Erfolg der neuen Software war so groß, dass zu Beginn des Jahrzehnts mit der Peter Gessner & Partner GmbH, später bekannt als COR, ein neuer Konkurrent auf den Plan trat. Peter Gessner war damals bereits so etwas wie eine Legende. Als angesehener Professor der Mathematik war er gleichzeitig ein erfolgreicher Ökonom und Manager führender Banken und Versicherungen. Unter seiner Führung entwickelte sich beispielsweise die Lebensversicherungs-AG der Deutschen Bank innerhalb von nur vier Jahren zu einem Milliardengeschäft. Gessner erkannte schon früh, dass sich die individuelle Entwicklung und Wartung von eigener Software für Lebensversicherungsgesellschaften nicht rentierte. Er gründete COR daher mit dem Ziel, eine einheitliche Standardsoftware für die Branche anzubieten. Der Wettbewerb zwischen den beiden Branchenpionieren hatte begonnen.

Kurz vor der Jahrtausendwende lag den Versicherungsunternehmen ein Anliegen besonders am Herzen: Wegen der einstigen Speicherplatzbeschränkungen wurden in der Computerprogrammierung nur die letzten beiden Ziffern der Jahreszahl verwenden. Mit Mitternacht im Jahr 2000 konnte so jedoch nicht mehr zwischen dem neuen Jahr und 1900 unterschieden werden. Systemabstürze, Datenverluste und alle Arten apokalyptischer Vorhersagen wurden damals prophezeit. Dieser allgemein als Jahr-2000-Problem oder Y2K-Bug bezeichnete Fehler war nicht spezifisch für Versicherungen, aber die Branche war aufgrund ihrer Altsysteme und riesigen Datenbanken besonders anfällig. Sowohl FJA als auch COR wurden zu Rate gezogen und sollten helfen, das Millennium-Problem in den Griff zu bekommen. Diese Aufträge stellten oft den Auftakt für eine grundlegende Aktualisierung der jeweiligen IT-Systeme dar.